Martin Neumaier
Im Weltstaat
Mar 12 - Apr 24, 2016
Der Titel der neuen Werkserie des 1970 in Hürth geborenen Künstlers und Städelabsolventen weckt sofort Assoziationen zum Größenwahn des Nationalsozialismus und seiner Vorstellung vom Weltreich Germania. Tatsächlich aber basiert der bedeutungsgeladene Begriff auf dem 1960 erschienenen Essay Der Weltstaat. Organismus und Organisation des deutschen Schriftstellers Ernst Jünger. Jünger, der als Offizier diente und zwei Weltkriege erlebte, behandelt darin die politische Situation der Nachkriegsjahre. Sein ambivalentes Verhältnis zum dritten Reich und seine Kritik am Rassenwahn Hitler's machen ihn für Martin Neumaier zu einem interessanten Ausgangspunkt für seine Werke, die sich in der Vergangenheit mit Themen wie dem europäischen Kolonialismus sowie militärischen Eroberungszügen auseinandersetzten.
Martin Neumaiers neue künstlerische Arbeiten lassen ebenfalls eine Faszination für Ideen, Ideologien und Utopien erkennen, doch gleichzeitig leise Zweifel, Unbehagen und Kritik sprechen. Der Künstler besteht darauf, keinen historischen Diskurs eröffnen zu wollen oder seine Arbeit als Forschung anzusehen. Vielmehr greift er historische Fundstücke auf, die er aus ihrem Kontext löst, paraphrasiert und assoziativ verbindet. Eine biographische Nuance erhalten Neumaiers Leinwandarbeiten, die eine Mischung aus Malerei und Collage darstellen, durch kleine, bereits leicht ramponierte Zinnfiguren aus der Sammlung seines Vaters und Großvaters. Die aufgeklebten reliefartigen Zinnsoldaten dienen ihm als Protagonisten und erscheinen in Reih und Glied aufgestellt, mit erhobener Waffe oder zu Pferd am unteren Bildrand. Über ihnen erheben sich wässrige tiefschwarze und blutrote Flecken, die wie überdimensionierte Sprech- oder Denkblasen wirken. Von ihrer Größe und Dunkelheit geht etwas Bedrohliches aus. Strategisch anmutende Linien und geometrische Formen verbinden diese miteinander und erinnern damit an Kriegskarten oder Schlachtpläne. Die Linien durchziehen den Bildraum und führen ebenso einzelne aufgeriebene Letraset Buchstaben zusammen. Folgt man diesen, so ergeben sich daraus Begriffe und Namen, wie Kant oder Adorno. Eine Skulptur, bestehend aus einem 1,50 m hohen Bücherstapel ergänzt die Wandarbeiten. Zuoberst liegt eine historische Ausgabe des bereits genannten Essays Der Weltstaat. Bewacht wird der Bücherstapel von einem darauf sitzenden präparierten Vogel. Ironisch wirkt die Szenerie, wenn man um Jüngers außergewöhnliches Interesse für Insekten(-kunde) weiß. Der Insekten größter Feind war und ist der Vogel, den Neumaier nun als gefährlichen Jäger wachend auf den Ideen des Schriftstellers platziert.
Text: Elena O. Frickmann